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Waldbaden (Shinrin Yoku) für Körper, Geist und Seele

Bild von Richard Staudner
Richard Staudner

The Optimizer

“And into the forest I go to lose my mind and find my soul!” (John Muir, 1869)

Dieses Zitat von John Muir, einem der ersten Naturphilosophen und Naturschützer, beschreibt ein Gefühl, das wohl viele von Waldausflügen kennen. Die Leichtigkeit, Entspannung, Freude und vor allem auch Ablenkung, die wir im Wald finden, kann tatsächlich unsere Gesundheit unterstützen. 

In diesem Artikel geht es um die natürliche und gesunde Wirkung des Waldes auf uns Menschen. Wir blicken auch auf Japan, ein Land, in dem die Praxis des “Waldbadens” seit vielen Jahren erforscht wird. 

Ursprung des Waldbaden

Shinrin Yoku ist wortwörtlich zu übersetzen mit Eintauchen in die Waldatmosphäre. Das zeigen uns auch die japanischen Schriftzeichen. Die vielen Kreuzchen zeigen Bäume und ergeben die Bedeutung Wald und Gehölz und das dritte Zeichen zeigt fließendes Wasser und ein Tal, also “Baden”. Sich sozusagen baden im Wald. Diese Praxis wird als traditionelle Form der Erholung in Japan schon seit langer Zeit praktiziert. 

Während uns “Waldbaden” in Österreich vielleicht wie ein nettes Hobby vorkommt, hat sich in Japan bereits ein ganzer Wissenschafts- und Medizinsektor um diese Praxis aufgebaut. In den frühen 80ern wurde vom japanischen Ministerium der Begriff des Waldbadens eingeführt und begleitend ein großes Forschungsprogramm gestartet. Daraufhin wurde das erste Waldtherapiezentrum eröffnet. Heute bieten die Universitäten des Landes Wald-Medizin als Spezialisierung an. In Japan hat auch bereits etwa ¼ der Bevölkerung schon mal an speziellen Waldbade- Aktivitäten teilgenommen. Das ist eine beeindruckende Entwicklung. Ein aktiver Beitrag zur gesundheitlichen Entwicklung durch die japanische Regierung. Aus meiner Sicht ein Vorbild für alle anderen Länder der Welt. 

Seit 2007 wird unter der japanischen Gesellschaft für Waldmedizin intensiv am therapeutischen Effekt des Waldes geforscht, was auch langsam die internationale Forschung beeinflusst. Etwa wurde bei einem europäischen Projekt zwischen 2004 und 2008 die gesundheitliche Wirkung des Waldes erforscht. Weiters beschäftigen sich österreichische Forscher in den letzten Jahren mit der gesundheitlichen Wirkung der Berge (Niedermeier et al., 2017) und auch von Wasserfällen. Die Kombination dieser natürlichen Elemente ergibt den größten Nutzen für uns Menschen. Beispielsweise auf unsere seelische Verfassung und geistiges Wohlbefinden. Das kennst du vielleicht. In einem Wald, an einem Bach oder einem Wasserfall entspannen wir uns sehr rasch. An solchen Orten kommt man sehr schnell zur Ruhe, vergisst den Alltag und kann im Moment verweilen. Warum es zu diesem Effekt kommt und wie wir dies zum Vorteil unserer Gesundheit nutzen können, möchte ich dir in dieser Serie erklären.

Wie funktioniert Waldbaden genau?

Beim Waldbaden geht es um Entspannung und Erholung und das Wahrnehmen mit allen 5 Sinnen. Wir können im Wald einfach spazieren und umherwandern oder es mit anderen beruhigenden Aktivitäten kombinieren. Wie etwa Meditation, kognitive Verhaltenstherapie oder Atemübungen. 

Im Konkreten kann das bei jedem anders aussehen. Vielleicht streife ich langsam durch die Wälder, halte nach Tierspuren Ausschau oder folge einer Fährte. Vielleicht suche ich mir ein schönes Plätzchen, setze mich hin und beobachte meine Umgebung, lausche den Vögeln oder den Blättern im Wind. Vielleicht nasche ich ein paar Walderdbeeren, lass meine Füße in einen Bach hängen und rieche die frischen Düfte um mich herum. Oder ich lehne mich an einen alten Baum, spüre die Rinde in meinem Rücken, betrachte seine Äste und Zweige. Ich kann auch den Wald fühlen, mit den Fingern in der Erde wühlen, barfuß den Boden erkunden.  

Ob man nun liegt, sitzt oder geht, wichtig ist, achtsam zu bleiben und die Umgebung mit allen Sinnen wahrzunehmen. Das Smartphone hat dabei nichts verloren. Nicht einmal für ein Erinnerungsfoto. Die Erinnerung speichere dir lieber auf der Festplatte in deinem Gehirn ab. Oder als Gefühl in deinen Händen und als Duft in deiner Nase. Das wirkt deutlich nachhaltiger auf uns. 

Und wofür das Ganze? 

Neben dem Entspannungseffekt wird beschrieben, dass Waldbaden auf vielen Ebenen positiv für die Gesundheit wirkt. Angefangen bei der mentalen Gesundheit über Herzkreislauf und Immunsystem bis hin zu sozialen Aspekten entfaltet der Wald seine Wirkung auf uns. Das Wundervolle daran ist, dass es beinahe gratis und für den Großteil von uns frei zugänglich ist. 

Wenn man sich die Geschichte der Menschheit anschaut, dann ist das vielleicht gar nicht so überraschend. Überschlagsmäßig gibt es den Menschen, wie wir ihn kennen, seit etwa 1.1 Mio Jahren. In der Zivilisation leben wir seit rund 300 Jahren und so dicht wie heute erst seit einiger Zeit. Das Leben in Dörfern und Städten, wie wir es kennen, macht also wohl weniger als 0,1% unserer Menschheitsgeschichte aus. Eine Zeitspanne, die zu kurz war, um unseren genetischen Code komplett an dieses Leben anzupassen. Wir sind immer noch auf die Natur programmiert. Der Forscher Miyazaki bezeichnet dies als “Zurück zur Natur”- Theorie. 

Die Biophilia Hypothese von OE. Wilson beschreibt dies folgendermaßen: Der Mensch hat eine angeborene Verbindung mit der Natur und allem Lebendigen. Wir haben den Wald als tief verwurzelten Archetyp in uns. 

Jahrmillionen lang spendet er uns schon Nahrung, Schutz, Feuchtigkeit, Wasser, Holz um Häuser zu bauen und um Feuer zu machen. Der Anblick von Wald könnte also tiefliegende Vorstellungen von Sicherheit ansprechen und uns dadurch beruhigen. 

Die Wirkung des Waldbadens beruht wohl auf einem Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Einerseits spielt mit Sicherheit die psychologische Wirkung, wie unter anderem Farben, Geräusche und Formen eine Rolle. Andererseits wird aktuell intensiv an den im Wald vorkommenden Stoffen geforscht. Die “Terpene” in der Waldluft sind mitunter verantwortlich für die Gerüche des Waldes, Kommunikation und Schutz der Bäume und wirken auch nachweislich auf unseren Körper, wenn wir sie einatmen. Wie genau das funktioniert und was die Forschung dazu überhaupt schon herausgefunden hat, wollen wir uns aber in den nächsten Artikeln ansehen!

Brauchen wir Waldbaden in Österreich? 

Geht das bei uns? Unsere Wälder sehen doch anders aus, als die in Japan? Auch in Österreich lebt aktuell etwa jeder 2. Mensch in einem städtischen Umfeld, mit steigender Tendenz (Statistik Austria). Die UN schätzt, dass bis 2050 dieser Schnitt auch weltweit erreicht werden soll (United Nations, n.d.). Die OECD berichtet, dass in Österreich etwa jeder 2. Mensch arbeitsbedingten Stress als großes Thema empfindet, womit wir über dem europäischen Durchschnitt liegen (OECD, 2015). Ein Bedarf für Stress reduzierende Tätigkeiten besteht also auf jeden Fall.

Während in vielen Teilen der Erde der Wald schrumpft, ob durch Rodung oder den Klimawandel und dadurch entstehende Krankheiten, steigt die Waldfläche in Österreich an. Etwa die Hälfte unseres Landes ist mit Wald bedeckt (Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus, 2021)

Man muss dazusagen, dass Wald nicht gleich Wald ist. Forstwirtschaft ist in Österreich ein wichtiger Wirtschaftssektor und so ist doch ein Großteil unserer Wälder zur Holzproduktion vorgesehen, meist mit gleichalten Fichten. Aber: jährlich wird weniger abgeholzt als nachwächst, weshalb die Waldfläche zunimmt. Etwa 30% unseres Waldes sind Schutzwald und dienen nicht zur Forstwirtschaft. (Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus, 2021) Wir haben also jede Menge Wald, das steht fest. 

Wie Wald noch auf uns wirkt und welche gesundheitlichen Vorteile für uns Menschen zu erwarten sind, werden wir uns in den folgenden Artikeln dieser Serie ansehen. 

Quellen

Antonelli, M., Donelli, D., Carlone, L., Maggini, V., Firenzuoli, F., Bedeschi, E., 2021. Effects of forest bathing (shinrin-yoku) on individual well-being: an umbrella review. International Journal of Environmental Health Research 0, 1–26. https://doi.org/10.1080/09603123.2021.1919293

Bielinis, E., Janeczko, E., Takayama, N., Zawadzka, A., Słupska, A., Piętka, S., Lipponen, M., Bielinis, L., 2021. The effects of viewing a winter forest landscape with the ground and trees covered in snow on the psychological relaxation of young Finnish adults: A pilot study. PLOS ONE 16, e0244799. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0244799

Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus, 2021. Österreichs Wald – Schutz, Erholung, Vielfalt und Holz.

Hansen, M.M., Jones, R., 2020. The Interrelationship of Shinrin-Yoku and Spirituality: A Scoping Review. The Journal of Alternative and Complementary Medicine 26, 1093–1104. https://doi.org/10.1089/acm.2020.0193

Hansen, M.M., Jones, R., Tocchini, K., 2017. Shinrin-Yoku (Forest Bathing) and Nature Therapy: A State-of-the-Art Review. Int J Environ Res Public Health 14. https://doi.org/10.3390/ijerph14080851

Hartl, A., Grafetstaetter, C., Prossegger, J., Hahne, P., Braunschmid, H., Winklmayr, M., 2013. Health effects of alpine waterfalls. Presented at the Research in Protected Areas, Mittersill, pp. 265–268.

Li, Q., 2010. Effect of forest bathing trips on human immune function. Environ Health Prev Med 15, 9–17. https://doi.org/10.1007/s12199-008-0068-3

Miyazaki, Y., 2018. Shinrin Yoku – Heilsames Waldbaden: die japanische Therapie für innere Ruhe, erholsamen Schlaf und ein starkes Immunsystem = Shinrin yoku, 1. Auflage. ed. Irisiana, München.

Niedermeier, M., Einwanger, J., Hartl, A., Kopp, M., 2017. Affective responses in mountain hiking-A randomized crossover trial focusing on differences between indoor and outdoor activity. PLoS One 12, e0177719. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0177719

OECD, 2015. Mental Health and Work: Austria, Mental Health and Work. OECD. https://doi.org/10.1787/9789264228047-en

Park, B.J., Tsunetsugu, Y., Kasetani, T., Kagawa, T., Miyazaki, Y., 2010. The physiological effects of Shinrin-yoku (taking in the forest atmosphere or forest bathing): evidence from field experiments in 24 forests across Japan. Environ Health Prev Med 15, 18–26. https://doi.org/10.1007/s12199-009-0086-9

Schreck, M., Lackner, C., 2012. Oesterreichs Wald.

Statistik Austria, 2021. Forstwirtschaftliche Gesamtrechnung für Österreich 2020 (No. 1.38). Wien.

Stier-Jarmer, M., Throner, V., Kirschneck, M., Immich, G., Frisch, D., Schuh, A., 2021. The Psychological and Physical Effects of Forests on Human Health: A Systematic Review of Systematic Reviews and Meta-Analyses. International Journal of Environmental Research and Public Health 18, 1770. https://doi.org/10.3390/ijerph18041770

United Nations, n.d. Around 2.5 billion more people will be living in cities by 2050, projects new UN report [WWW Document]. United Nations. URL https://www.un.org/en/desa/around-25-billion-more-people-will-be-living-cities-2050-projects-new-un-report (accessed 2.16.22).

Wilson, E.O., 1994. Biophilia: the human bond with other species. Harvard Univ. Press, Cambridge, Mass.

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Richard Staudner

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