Unsere genetische Ausstattung kann maßgeblich beeinflussen, wie hoch unser Cholesterinspiegel ist – selbst bei einem gesunden Lebensstil.
Cholesterin ist für unseren Körper lebensnotwendig und unentbehrlich. Kritisch wird es jedoch, wenn bestimmte Cholesterinpartikel in zu hoher Konzentration im Blut zirkulieren – dann steigt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Oft wird Cholesterin-Problematik mit „schlechter Ernährung“ oder „zu wenig Bewegung“ erklärt. Doch was viele nicht wissen: Unsere Gene spielen dabei eine entscheidende Rolle.
Manche Menschen tragen genetische Varianten, die den Fettstoffwechsel grundlegend verändern – unabhängig davon, wie gesund sie leben. Besonders wichtig sind dabei drei genetische Faktoren: familiäre Hypercholesterinämie (FH), erhöhtes Lipoprotein(a) [Lp(a)] and bestimmte SNPs (kleine Genvarianten). Sehen wir uns diese im Detail an.
Familiäre Hypercholesterinämie (FH) – wenn LDL von Geburt an zu hoch ist
Bei der familiären Hypercholesterinämie handelt es sich um eine vererbte Fettstoffwechselstörung, bei der das „schlechte“ LDL-Cholesterin von Geburt an stark erhöht ist. Verantwortlich sind meist Mutationen im LDL-Rezeptor-Gen, im APOB-Gen oder im PCSK9-Gen. Dadurch wird LDL-Cholesterin nicht mehr ausreichend aus dem Blut entfernt und lagert sich in den Gefäßen ab. (1,2,3)
Wichtige Fakten:
- Typische LDL-Werte bei FH: > 190 mg/dL (ohne Behandlung)
- Familiären Hypercholesterinämie betrifft etwa 1 von 250 Menschen
- Erhöht das Risiko für frühe Herzinfarkte erheblich (oft schon vor dem 50. Lebensjahr)
Symptome können sein:
- Xanthome (fettige Knoten an Sehnen oder Haut)
- Frühzeitige Herz-Kreislauf-Erkrankungen in der Familie
Warum frühzeitig testen?
- Wird familiäre Hypercholesterinämie früh erkannt, lässt sich das Risiko durch gezielte Therapie massiv senken.
- Bei Verdacht auf FH sollten auch Eltern und Kinder getestet werden (sog. kaskadierende Diagnostik)
- So lassen sich gefährdete Familienmitglieder rechtzeitig identifizieren und schützen.
Lipoprotein(a) [Lp(a)] – das oft übersehene genetische Risiko
Lipoprotein(a) ist ein besonderes Cholesterin-Teilchen im Blut. Es ähnelt dem LDL, trägt jedoch zusätzlich ein Apo(a)-Protein, das Entzündungs- und Gerinnungsprozesse verstärken kann. Das Besondere daran ist, die Lp(a)-Konzentration wird fast ausschließlich durch Gene bestimmt – Ernährung oder Sport beeinflussen ihn kaum. In Europa haben etwa 20–30 % der Bevölkerung einen erhöhten Lp(a)-Spiegel. (4,5,6,7)
Wichtige Fakten:
- Der Lp(a)-Wert wird zu 90–95 % genetisch festgelegt.
- Hohe Lp(a)-Werte (> 50 mg/dL) sind ein unabhängiger Risikofaktor für:
- Herzinfarkt
- Schlaganfall
- Aortenklappenverkalkung
- Herzinfarkt
Warum messen?
- Ein einmaliger Bluttest reicht, um den Lp(a)-Spiegel zu kennen.
- Bei auffälligen Werten sollten auch Familienmitglieder getestet werden, um frühzeitig Gegenmaßnahmen ergreifen zu können.
- Spezielle neue Therapien sind in Entwicklung, derzeit geht es darum, das Gesamtrisiko aktiv zu steuern. (8)

Genetische Varianten und SNPs – viele kleine Veränderungen mit großer Wirkung
Neben familiäre Hypercholesterinämie und Lp(a) gibt es zahlreiche kleine genetische Varianten (sogenannte Single Nucleotide Polymorphisms, SNPs), die das Cholesterinprofil beeinflussen können. Einzeln betrachtet haben diese Varianten oft nur einen kleinen Effekt, in der Summe können sie jedoch das Risiko für Fettstoffwechselstörungen deutlich erhöhen. (9,10,11)
Wichtige Beispiele:
- PCSK9-SNPs: können LDL-Cholesterin senken oder erhöhen
- CETP-SNPs: beeinflussen den HDL-Cholesterinspiegel
- ABCG8-Varianten: verändern die Cholesterinaufnahme im Darm
Was bedeutet das praktisch?
- Menschen mit vielen „ungünstigen“ SNPs haben ein höheres Grundrisiko, auch wenn ihre Lebensweise eigentlich gesund ist.
- In der Forschung werden sogenannte Polygenic Risk Scores (PRS) entwickelt, die das gesamte genetische Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen besser abbilden.
Die drei zentralen genetischen Faktoren rund um Cholesterin auf einen Blick
Begriff | Erklärung | Typischer Laborhinweis | Gentest sinnvoll? |
Familiäre Hyper- cholesterinämie (FH) | Monogenetische Fettstoffwechselstörung, verursacht durch eine Mutation (z. B. im LDL-Rezeptor, APOB oder PCSK9), die zu stark erhöhten LDL-Cholesterinwerten ab Geburt führt. | Deutlich erhöhtes LDL-C (>190 mg/dL); Normalgewicht trotz hoher Werte möglich; oft familiäre Häufung. | Ja, sinnvoll: Analyse der Gene LDLR, APOB und PCSK9 zur Diagnosesicherung. |
Hohes Lipoprotein(a) | Genetisch bedingte Erhöhung des Lipoprotein(a)-Spiegels durch Varianten im LPA-Gen; wirkt unabhängig von LDL cholesterinsteigernd und atherogen. | Lp(a) >50 mg/dL (bzw. >125 nmol/L), unabhängig vom LDL-C und Lebensstil. | Nein, ein Gentest ist nicht notwendig – eine einmalige Lp(a)-Messung reicht aus, da der Wert genetisch festgelegt ist. |
Polygenetisches Risiko | Anhäufung vieler kleiner genetischer Varianten (SNPs), die jeweils das LDL-Cholesterin oder das kardiovaskuläre Risiko leicht erhöhen; in Summe kann ein vergleichbares Risiko wie bei monogenetischen Störungen entstehen. | Moderat erhöhte LDL-C-Werte, oft in Kombination mit weiteren Risikofaktoren; familiäre Häufung kardiovaskulärer Ereignisse möglich. | Optional: Polygenic Risk Scores (PRS) können zur genaueren Risikobewertung eingesetzt werden, sind aber derzeit noch wenig etabliert. |
Erklärung zur Tabelle: Familiäre Hypercholesterinämie (FH) und Lipoprotein(a) sind monogenetische Störungen – das heißt, eine einzelne Genveränderung reicht aus, um das Risiko deutlich zu erhöhen. Beim polygenetischen Risiko hingegen führen viele kleine Genvarianten gemeinsam zu einem erhöhten Risiko.
Genetik ist das Fundament – aber wie wir leben, kann den Unterschied machen
Auch wenn Genetik eine starke Grundlage legt, ist sie kein unausweichliches Schicksal. Epigenetik – also die Veränderung der Genaktivität durch Umweltfaktoren – spielt eine entscheidende Rolle. Unsere Ernährung, unser Bewegungsverhalten, unser Umgang mit Stress und Schlaf beeinflussen direkt, wie sich genetische Risiken tatsächlich auswirken.
Wichtige Punkte zum Mitnehmen:
- Genetik bestimmt die Basis, aber Lebensstil entscheidet über das Risiko.
- Wer eine genetische Belastung, wie FH oder hohes Lp(a) hat, sollte frühzeitig handeln.
- Kaskadierende Diagnostik (Eltern, Kinder testen) hilft, Risiken in der Familie rechtzeitig zu erkennen und gezielt zu behandeln.
Wissen über die eigene Genetik gibt die Chance, Risiken frühzeitig zu erkennen und das eigene Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.
Sources:
- Nordestgaard BG, Chapman MJ, Humphries SE, Ginsberg HN, Masana L, Descamps OS, Wiklund O, Hegele RA, Raal FJ, Defesche JC, Wiegman A, Santos RD, Watts GF, Parhofer KG, Hovingh GK, Kovanen PT, Boileau C, Averna M, Borén J, Bruckert E, Catapano AL, Kuivenhoven JA, Pajukanta P, Ray K, Stalenhoef AF, Stroes E, Taskinen MR, Tybjærg-Hansen A; European Atherosclerosis Society Consensus Panel. Familial hypercholesterolaemia is underdiagnosed and undertreated in the general population: guidance for clinicians to prevent coronary heart disease: consensus statement of the European Atherosclerosis Society. Eur Heart J. 2013 Dec;34(45):3478-90a. doi: 10.1093/eurheartj/eht273. Epub 2013 Aug 15. Erratum in: Eur Heart J. 2020 Dec 14;41(47):4517. doi: 10.1093/eurheartj/ehaa166. PMID: 23956253; PMCID: PMC3844152.
- Grundy SM, Stone NJ, Bailey AL, Beam C, Birtcher KK, Blumenthal RS, Braun LT, de Ferranti S, Faiella-Tommasino J, Forman DE, Goldberg R, Heidenreich PA, Hlatky MA, Jones DW, Lloyd-Jones D, Lopez-Pajares N, Ndumele CE, Orringer CE, Peralta CA, Saseen JJ, Smith SC Jr, Sperling L, Virani SS, Yeboah J. 2018 AHA/ACC/AACVPR/AAPA/ABC/ACPM/ADA/AGS/APhA/ASPC/NLA/PCNA Guideline on the Management of Blood Cholesterol: A Report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Clinical Practice Guidelines. Circulation. 2019 Jun 18;139(25):e1082-e1143. doi: 10.1161/CIR.0000000000000625. Epub 2018 Nov 10. Erratum in: Circulation. 2019 Jun 18;139(25):e1182-e1186. doi: 10.1161/CIR.0000000000000698. Erratum in: Circulation. 2023 Aug 15;148(7):e5. doi: 10.1161/CIR.0000000000001172. PMID: 30586774; PMCID: PMC7403606.
- Vrablik M, Tichý L, Freiberger T, Blaha V, Satny M, Hubacek JA. Genetics of Familial Hypercholesterolemia: New Insights. Front Genet. 2020 Oct 7;11:574474. doi: 10.3389/fgene.2020.574474. PMID: 33133164; PMCID: PMC7575810.
- Nordestgaard BG, Chapman MJ, Ray K, Borén J, Andreotti F, Watts GF, Ginsberg H, Amarenco P, Catapano A, Descamps OS, Fisher E, Kovanen PT, Kuivenhoven JA, Lesnik P, Masana L, Reiner Z, Taskinen MR, Tokgözoglu L, Tybjærg-Hansen A; European Atherosclerosis Society Consensus Panel. Lipoprotein(a) as a cardiovascular risk factor: current status. Eur Heart J. 2010 Dec;31(23):2844-53. doi: 10.1093/eurheartj/ehq386. Epub 2010 Oct 21. PMID: 20965889; PMCID: PMC3295201.
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