Nicotinamid-Adenin-Dinukleotid – besser bekannt als NAD+ – geistert seit einiger Zeit durch die Anti-Aging- und Biohacking-Szene. Aber was steckt hinter diesen vier unscheinbaren Buchstaben? Handelt es sich um den Schlüssel zu mehr Energie und Langlebigkeit, oder nur um das nächste überteuerte Wundermittel? In diesem Artikel nehmen wir NAD+ genauer unter die Lupe: Was es ist, welche Rolle es im Körper spielt, wie sich die Werte beeinflussen lassen (Stichwort Einnahme), und was die Wissenschaft – inklusive kritischer Stimmen – dazu sagt.

Was ist NAD+ und warum ist es wichtig?
NAD+ ist ein Molekül, das in jeder Zelle unseres Körpers vorkommt. Als Coenzym ist es maßgeblich an der Energieproduktion beteiligt – ohne NAD+ würden unsere „Zell-Kraftwerke“, die Mitochondrien, keinen Strom (ATP) erzeugen können. Darüber hinaus dient NAD+ als „Treibstoff“ für Reparatur-Enzyme: Sowohl die Sirtuine (bekannt als Langlebigkeitsenzyme) als auch die PARP-Enzyme zur DNA-Reparatur hängen direkt von NAD+ ab [6]. Vereinfacht gesagt: NAD+ sorgt dafür, dass Zellen Energie haben and Schäden beheben können – zwei Faktoren, die für Gesundheit und gesundes Altern essenziell sind.
Die schlechte Nachricht: Mit dem Alter nimmt der NAD+-Gehalt im Körper deutlich ab. Schätzungen zufolge besitzen Menschen mittleren Alters nur noch etwa die Hälfte des NAD+ von jungen Erwachsenen [1]. Dieser NAD+-Schwund wurde in diversen Geweben beobachtet – von Haut und Muskel bis Gehirn [6]. Die Gründe sind vielfältig. Zum einen wird NAD+ verstärkt verbraucht, etwa durch chronische Entzündungen und eine Überaktivität von PARP (ein DNA-Reparaturenzym, das NAD+ „verbraucht“) [6]. Zum anderen nimmt die Neubildung von NAD+ im Alter ab – teilweise weil Schlüsselenzyme wie NAMPT langsamer arbeiten [6]. Der resultierende NAD+-Mangel kann zum Teufelskreis werden: Weniger Energie, weniger DNA-Reparatur, gestörte Zellfunktionen – all das fördert altersbedingte Leiden [6]. Kein Wunder also, dass Forscher NAD+ als einen zentralen Hebel im Alterungsprozess betrachten.

Kann man NAD+ beeinflussen? Lifestyle vs. Pille
Die spannende Frage lautet: Müssen wir den NAD+-Verfall hinnehmen, oder lässt er sich aufhalten (oder gar umkehren)? Tatsächlich gibt es Hinweise, dass der Lebensstil eine große Rolle spielt. Verschiedene natürliche Ansätze können die NAD+-Produktion ankurbeln oder den Verbrauch senken. Zu den wirksamen Strategien zählen beispielsweise Fasten bzw. Kalorienrestriktion, regelmäßige Ausdauerbewegung, eine Ernährung mit wenig Zucker sowie sogar Hitze- und Kältereize (Sauna, Kältebäder) [2]. All diese Lebensstilfaktoren aktivieren im Körper bestimmte Wege, die die NAD+-Synthese fördern oder NAD+-verbrauchende Prozesse bremsen. Passend dazu zeigen Studien, dass regelmäßiger Sport und zeitweiliges Fasten bei Mäusen die NAD+-Spiegel erhöhen und dadurch zelluläre Reparatur- und Reinigungsprozesse (Stichwort Autophagie) verbessern [2]. Die Quintessenz: Ein gesunder Lebenswandel kann helfen, das NAD+ länger auf einem „jungen“ Niveau zu halten – ganz ohne Pillen.
Natürlich fragt sich die moderne Wissenschaft: Geht’s vielleicht noch einfacher? Hier kommen Food supplements ins Spiel. Seit einigen Jahren sind verschiedene NAD+-Booster auf dem Markt, die versprechen, die intrazellulären NAD+-Speicher wieder aufzufüllen. Wichtig zu wissen: NAD+ selbst kann man nicht einfach schlucken, denn das Molekül würde im Verdauungstrakt zerpflückt werden und schafft es auch kaum durch Zellmembranen [6]. Stattdessen setzt man auf Vorstufen (sogenannte NAD+-Precursoren), also Substanzen, die der Körper leicht in NAD+ umwandeln kann. Die wichtigsten sind hier:
- Niacin (Vitamin B3 bzw. Nicotinsäure) und Nicotinamid: klassische Vitamine, die bereits seit Langem bekannt sind. Sie können im Körper zu NAD+ recycelt werden. Hochdosiertes Niacin führt jedoch zu Flush (Hautrötung) und Nicotinamid kann in großen Mengen die Sirtuin-Wirkung bremsen – daher suchte man nach Alternativen.
- Nicotinamid-Ribosid (NR): eine Form von Vitamin B3, die erst 2004 entdeckt wurde. NR lässt sich als Kapsel einnehmen und erhöht nachweislich den NAD+-Spiegel im Blut.
- Nicotinamid-Mononukleotid (NMN): ein weiterer Vorläufer, der nur einen Umwandlungsschritt entfernt von NAD+ ist. NMN hat sich als potenter erwiesen als Niacin und NR.
In direkten Vergleichen zeigen Studien, dass NMN effizienter vom Körper aufgenommen und schneller in aktives NAD+ umgewandelt wird als NR. NMN benötigt weniger Umwandlungsschritte und erreicht daher oft höhere zelluläre NAD+-Spiegel. Viele Experten betrachten NMN deshalb als den aktuell wirkungsvollsten NAD+-Booster.
Diese beiden neuen Kandidaten – NR und NMN – haben in den letzten Jahren die meiste Aufmerksamkeit bekommen. Sie funktionieren quasi als NAD+-Rohstoffe: Die Moleküle werden über spezifische Transporter ins Zellinnere geschleust, wo sie dann zu NAD+ zusammengesetzt werden [6]. Damit umgehen sie das Problem, dass NAD+ selbst nicht direkt in die Zelle gelangt.
Neben oralen Ergänzungen wie NMN und NR sind mittlerweile auch Infusionen sehr beliebt. Hier kann NAD+ direkt aufgenommen werden. Der Magen-Darm Trakt spielt dabei keine Rolle. Infusionen scheinen bei weitem die potentesten, aber auch teuersten Varianten zu sein. Auch subkutane Spritzen fluten gerade den Markt, mit kleinen Pens, wie man es vom Insulin kennt. Dabei wird das NAD+ mit einer kleinen Nadel in das Körperfett gespritzt – bei Bedarf sogar täglich.

Was taugen NAD+-Booster? Ein Blick in die Studienlage
Tierstudien zeichnen ein durchaus beeindruckendes Bild. Indem man bei Mäusen die NAD+-Werte künstlich wieder auf „jung“ dreht, konnte man diverse altersbedingte Beschwerden verbessern oder sogar rückgängig machen: bessere Herzfunktion, günstigere Zucker- und Fettwerte, gesteigerte Muskelfunktion und Ausdauer, verbesserte Organregeneration und sogar bessere kognitive Leistunen [6]. Kurz gesagt: Bei Mäusen wirkt ein NAD+-Boost wie eine kleine Verjüngungskur quer durch den Körper. Kein Wunder, dass die Übertragung dieser Ergebnisse auf uns Menschen große Hoffnungen weckt.
Doch die klinischen Studien am Menschen müssen diesen hohen Erwartungen erst noch gerecht werden. Bisher liegen vor allem kurzfristige Studien vor, oft mit überschaubaren Teilnehmerzahlen:
- Nicotinamid-Ribosid (NR) in älteren Erwachsenen: In einer Pilotstudie an der Universität Colorado erhielten 24 gesunde Probanden im Alter von 55–79 Jahren sechs Wochen lang täglich 1.000 mg NR. Ergebnis: Der NAD+-Spiegel im Blut stieg um ~60%. Zudem sank bei Teilnehmern mit leicht erhöhtem Blutdruck der systolische Wert um durchschnittlich 10 mmHg [3]. Nebenwirkungen? Keine nennenswerten. Aber: kleine Studie, kurze Dauer.
- Nicotinamid-Mononukleotid (NMN) in älteren Männern: 2022 wurden die Ergebnisse einer Doppelblind-Studie aus Japan veröffentlicht. 20 Männer über 65 erhielten 250 mg NMN, weitere 22 ein Placebo. Ergebnis: Der NAD+-Spiegel im Blut stieg signifikant an, die Gehgeschwindigkeit und Griffkraft verbesserten sich leicht [4]. Die Effekte waren jedoch klein und teils nicht statistisch robust.
Abseits dieser beiden Beispiele laufen weltweit weitere Untersuchungen, u.a. bei Stoffwechselerkrankungen und neurodegenerativen Prozessen. Die bisherigen Resultate sind gemischt: Einige Studien sehen kleine Verbesserungen, andere kaum Unterschiede [2]. Eine klare Verjüngung beim Menschen – das muss ehrlich gesagt werden – konnte bisher nicht nachgewiesen werden.
Gibt es Nebenwirkungen oder Risiken?
Die gute Nachricht: Akute Nebenwirkungen scheinen selten. In den meisten Humanstudien wurden weder bei NR noch NMN ernsthafte unerwünschte Effekte beobachtet – selbst hohe Dosierungen (bis 1.000–2.000 mg/Tag) galten als sicher und gut verträglich [7]. Einige Personen berichten von mildem Unwohlsein, Übelkeit oder Kopfschmerzen, aber diese Fälle sind die Ausnahme.
Trotzdem mahnen einige Experten zur Vorsicht, insbesondere wenn NAD+-Booster langfristig und breit eingesetzt werden sollen. Ein oft diskutierter Aspekt ist die Rolle von NAD+ in Bezug auf Krebszellen. NAD+ ist ein Treibstoff nicht nur für gesunde Zellen, sondern potentiell auch für Tumorzellen. In einer Tierstudie der Universität Missouri wurde beobachtet, dass besonders aggressive Brustkrebszellen (TNBC) bei reichlich NR schneller ins Gehirn metastasierten [5]. Wichtig: Das heißt nicht, dass NAD+-Supplemente Krebs verursachen. Aber falls bereits entartete Zellen vorhanden sind, könnten sie von einem NAD+-Überschuss profitieren. Solche Ergebnisse sind bislang auf Tierversuche beschränkt, unterstreichen aber: Mehr NAD+ ist nicht automatisch besser.

Fazit: NAD+ – Wundermolekül mit Realitätscheck
NAD+ ist ein zentraler Spieler im Energiestoffwechsel, DNA-Reparatur und Zellalterung. Im Alter nimmt es ab, und sowohl Lebensstil als auch Supplemente können diesen Trend beeinflussen. Während Tierstudien spektakuläre Effekte zeigen, sind die Resultate beim Menschen bisher eher moderat.
Mein Tipp: Bevor du zu teuren NAD+-Supplements oder Infusionen greifst, lohnt es sich, auf natürlichem Weg für Ihre NAD+-Balance zu sorgen: gesunde Ernährung, Intervallfasten, Bewegung, guter Schlaf. Solltest du dennoch NAD+-Booster ausprobieren, achte unbedingt auf hochwertige Produkte und Rücksprache mit einem Facharzt. Die Wissenschaft wird uns in den nächsten Jahren sicher weitere Antworten liefern.
Energiegeladene Grüße,
Der Optimizer
Richard Staudner
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Literaturverzeichnis
[1] Massudi et al., PLoS ONE 7(7):e42357, 2012 – Altersabhängiger NAD+-Abfall in menschlichem Gewebe
[2] Poljsak et al., Oxidative Medicine and Cellular Longevity 2020:8819627 – Lifestyle-Einflüsse auf NAD+ und Gesundheit
[3] Martens et al., Nature Communications 9:1286, 2018 – Erste Humanstudie zu NR und kardiovaskulären Effekten
[4] Igarashi et al., NPJ Aging 8(1):5, 2022 – NMN-Supplementierung bei älteren Männern
[5] Maric et al., Biosensors and Bioelectronics 220:114826, 2023 – Tierstudie: NR fördert Krebsmetastasen bei TNBC
[6] Hogan et al., Plast. Reconstr. Surg. 150(4):749–758, 2022 – Review: NAD+-Abfall, Sirtuine/PARP, therapeutische Ansätze
[7] Fukamizu et al., Sci. Rep. 12:14442, 2022 – Sicherheitsstudie: NMN bis 1250 mg gut verträglich