Nikotin – Teufelszeug? Nootropic? Oder Beides?

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Richard Staudner

Der Optimizer

Ein Meisterdieb, der sich als Postbote verkleidet. 

Genau so arbeitet Nikotin in deinem Gehirn: Es ist ein brillanter Nachahmer. Es sieht unserem körpereigenen Botenstoff Acetylcholin so ähnlich, dass es dessen Rolle übernehmen kann. Wie ein falscher Schlüssel, der trotzdem perfekt ins Schloss passt. Dieser „Einbruch“ in unser Nervensystem hat weitreichende Folgen: Nikotin schleicht sich in die Kommandozentrale unseres Gehirns ein und löst dort eine Kettenreaktion aus. Es stimuliert die Freisetzung von Dopamin – unserem „Glückshormon“ – und beeinflusst Aufmerksamkeit, Lernen und Gedächtnis. 

Ein beeindruckender, aber gefährlicher Trick, der unser Gehirn gleichzeitig aktiviert und in die Abhängigkeit führen kann.

Aber was bedeutet diese biochemische Täuschung für unseren Alltag? Welche Vorteile und welche Nachteile bringt sie mit sich?

Was ist Nikotin eigentlich?

Nikotin ist ein Stoff, den du dir wie einen geschickten Schauspieler vorstellen kannst. Es schlüpft in deinem Gehirn in die Rolle verschiedener Botenstoffe und trickst damit deine Nervenzellen aus. Anders als viele denken, ist Nikotin nicht der große Übeltäter beim Rauchen – die gefährlichsten Stoffe entstehen erst beim Verbrennungsprozess. Das macht Nikotin aber noch lange nicht harmlos!

Wenn Nikotin dein Gehirn erreicht, passiert etwas Interessantes: Es kurbelt die Ausschüttung von Dopamin an – deinem körpereigenen „Glückshormon“. Gleichzeitig werden auch andere Botenstoffe wie Adrenalin freigesetzt. Das erklärt den schnellen Energiekick, den viele spüren.

Verschiedene Wege ins System

Klassisches Rauchen

Der traditionelle Weg der Nikotinaufnahme ist gleichzeitig der gefährlichste. Beim Verbrennen von Zigaretten entstehen über 7000 verschiedene Chemikalien, davon mindestens 69 krebserregend. [1]

Dabei ist es nicht nur der Rauch selbst: 

  • Die Temperatur schädigt direkt deine Atemwege
  • Teer lagert sich in deiner Lunge ab
  • Kohlenmonoxid verdrängt den Sauerstoff in deinem Blut
  • Deine Gefäße verengen sich
  • Der Raucherhusten ist erst der Anfang einer langen Liste von Beschwerden

Die Beweise für die Schädlichkeit des Rauchens sind so erdrückend, dass wir einen mehrteiligen Artikel bräuchten, um alle negativen Folgen aufzuzählen.

E-Zigaretten und Vaping

Die moderne Alternative wird oft als „gesündere Option“ beworben. Tatsächlich fallen hier viele Verbrennungsprodukte weg, aber:

  • Die langfristigen Folgen sind noch nicht ausreichend erforscht
  • Das erhitzte Liquid kann deine Atemwege reizen
  • Viele Aromastoffe sind bedenklich für die Gesundheit
  • Die oft höhere Nikotinkonzentration macht schnell abhängig
  • Die einfache Anwendung verführt zu häufigerem Konsum
  • Die Dampfwolken enthalten ebenfalls Schadstoffe

Snus und Nikotinbeutel

Diese tabakfreien Beutel werden unter die Oberlippe gelegt. Sie werden oft als „diskrete Alternative“ beworben, haben aber ihre eigenen Risiken:

  • Direkter Kontakt mit der Mundschleimhaut kann zu Verletzungen führen
  • Erhöhtes Risiko für Zahnfleischrückgang
  • Verfärbungen der Zähne
  • Mundgeruch
  • Mögliche Entwicklung von Mundkrebs (besonders bei tabakhaltigem Snus)
  • Durch die direkte Aufnahme über die Schleimhaut kommt es zu Nikotinspitzen im Blut

Das darin enthaltene Nikotin ist ein vollsynthetisches Chemieprodukt und stammt nicht aus Tabak. Der Vorteil im Vergleich zum Kautabak ist, dass man dabei nicht ständig spucken muss.

Kautabak

Eine oft übersehene Form des Nikotinkonsums ist Kautabak. Auch hier gelten besondere Warnungen:

  • Starke mechanische Belastung für Zähne und Zahnfleisch
  • Hohe Konzentration von Nitrosaminen
  • Erhöhtes Risiko für Mund-, Zungen- und Rachenkrebs
  • Verdauungsprobleme durch verschluckten Tabaksaft
  • Starke Abhängigkeitsgefahr durch intensive Nikotinaufnahme

Der gemeinsame Nenner:

Egal welche Konsumform du wählst – keine davon ist „sicher“. Jede hat ihre eigenen Risiken:

  • Alle Formen machen abhängig
  • Alle belasten deinen Körper
  • Alle kosten dich Geld (In Österreich bereits 7 Euro pro Schachtel)
  • Alle können schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben

Die Wissenschaft ist sich einig: Die beste Form des Nikotinkonsums ist gar keine. 

Energieschub nur temporär

Du kennst das vielleicht: Nach dem ersten Zug an der Zigarette oder dem Einlegen eines Nikotinbeutels fühlst du dich wacher, konzentrierter, energiegeladener. Aber was passiert da wirklich?

Nikotin spielt ein cleveres Doppelspiel mit deiner Energie:

Kurzfristig:

  • Schneller Energieschub durch Adrenalinausschüttung
  • Verbesserte Konzentration
  • Unterdrückung von Müdigkeit
  • Gedämpftes Hungergefühl

Langfristig:

  • Dein Körper gewöhnt sich an die künstlichen Energieschübe 
  • Die Abstände zwischen den „Kicks“ werden kürzer
  • Du brauchst immer mehr für den gleichen Effekt
  • Ohne Nikotin fühlst du dich schlapp und unkonzentriert [2, 3]

Der Teufelskreis der Energie

Was viele nicht wissen: Der gefühlte Energieschub durch Nikotin ist oft nur die Beseitigung von Entzugssymptomen. Außerdem sabotiert Nikotin deinen Schlaf. Es kann folgende Nachteile haben:

  • Das Einschlafen erschweren
  • Die Schlafqualität verschlechtern
  • Zu früherem Aufwachen führen
  • Nächtliche Entzugssymptome verursachen [4]

Nikotin als Nootropic?

Ein Nootropic ist eine Substanz, die deine kognitiven Fähigkeiten verbessern soll. Tatsächlich wird Nikotin in der Wissenschaft als Nootropic diskutiert.

Allgemeine kognitive Vorteile

Eine umfassende Analyse von 41 Studien zeigt interessante Erkenntnisse: Auch bei Nichtrauchern oder Rauchern ohne Entzugserscheinungen hatte Nikotin diverse Vorteile:

  • Verbesserte Feinmotorik
  • Gesteigertes Kurzzeitgedächtnis
  • Verbessertes Arbeitsgedächtnis
  • Erhöhte allgemeine Wachheit
  • Verbesserte gezielte Aufmerksamkeit

Doch diese vermeintlichen Vorteile haben einen Haken: Sie sind meist nur von kurzer Dauer, stark dosisabhängig und nehmen bei regelmäßigem Konsum ab. Zudem werden sie von den erheblichen Nebenwirkungen überschattet. [5]

Nikotin bei ADHS

Forschung aus dem Jahr 2017 zeigt spannende Ergebnisse bei Menschen mit ADHS: 

  • Nikotin kann die Aufmerksamkeitsspanne verbessern und Ablenkbarkeit reduzieren.
  • Besonders die exekutiven Funktionen – also die Fähigkeit zu planen, zu organisieren und Impulse zu kontrollieren – werden positiv beeinflusst. [6]

Nikotin gegen Neurodegeneration

Epidemiologische Studien haben einen überraschenden Zusammenhang aufgedeckt: Raucher entwickeln seltener neurodegenerative Erkrankungen wie Parkinson oder Alzheimer. Wissenschaftler führen dies auf die neuroprotektive (nervenschützende) Wirkung von Nikotin zurück. Das bedeutet: Nikotin könnte möglicherweise Nervenzellen vor dem Absterben schützen. [7]

Nikotin für Gewichtsverlust

Das Körpergewicht wird von Nikotin auf zwei Arten beeinflusst: 

  • Es erhöht den Grundumsatz – also die Energie, die dein Körper in Ruhe verbraucht.
  • Gleichzeitig verhindert es den normalerweise damit verbundenen gesteigerten Appetit.

Nikotin ist eine sympathomimetische Substanz. Das bedeutet, es ahmt den Zustand nach, wenn du sehr aktiv oder aufgeregt bist. Daher wirkt es ähnlich wie einige Medikamente zur Gewichtsreduktion. [8]

Ein wichtiger Unterschied: Diese Forschungen verwenden reines Nikotin unter streng kontrollierten Bedingungen – nicht die handelsüblichen Tabakprodukte oder E-Zigaretten. Viele dieser Studien befinden sich noch im experimentellen Stadium und rechtfertigen keinesfalls den alltäglichen Nikotinkonsum.

Fazit

Nur weil wir die verheerenden gesellschaftlichen und gesundheitlichen Folgen des Nikotinkonsums kennen, sollten wir nicht die Augen vor den potenziellen Vorteilen verschließen. Die Forschung zeigt durchaus interessante Wirkungen auf Konzentration, ADHS-Symptome und neurodegenerative Erkrankungen.

Dennoch bin ich fest davon überzeugt: Nikotin kann weder als Nootropic noch als Mittel zur Gewichtsreduktion empfohlen werden. 

Die Risiken und Nebenwirkungen für die Gesundheit überwiegen die möglichen Vorteile bei weitem.  Für jede positive Wirkung von Nikotin gibt es heute bessere Alternativen, wie zum Beispiel lebensstilbasierte Ansätze zur Gewichtskontrolle und pflanzenbasierte Wirkstoffe, die ebenfalls neuroprotektiven Eigenschaften oder den Stoffwechsel ankurbeln können.

Die beste Entscheidung für deine Gesundheit bleibt daher klar: Finger weg von Nikotin, egal in welcher Form.

Literaturverzeichnis:

  1. https://www.lung.org/quit-smoking/
  2. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/
  3. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/
  4. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/
  5. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/
  6. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/
  7. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/
  8. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/

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