Bewegung allein macht nicht schlank: Warum die Ernährung entscheidend ist

Bild von Richard Staudner
Richard Staudner

Der Optimizer

Stell dir vor, du ziehst seit Wochen diszipliniert dein Sportprogramm durch. Du gehst joggen, stemmst Gewichte, nimmst jeden Tag die Treppe – und trotzdem zeigt die Waage kaum eine Veränderung. Kommt dir bekannt vor? Du bist nicht allein mit diesem Frust. Viele haben den Spruch im Ohr: „Du musst dich einfach mehr bewegen, dann purzeln die Pfunde.“ Doch neue wissenschaftliche Erkenntnisse stellen genau diese Annahme auf den Kopf.

Übergewicht ist mehr als ein kosmetisches Problem – es zählt heute zu den größten Gesundheitsrisiken weltweit. Die Zahl der fettleibigen (adipösen) Menschen hat sich seit 1975 fast verdreifacht; rund 650 Millionen Erwachsene sind mittlerweile stark übergewichtig. Jedes Jahr sterben nach Schätzungen über 4 Millionen Menschen an den Folgen von Übergewicht (etwa durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes). Klar ist: Wir nehmen global gesehen zu viele Kalorien auf und bewegen uns zu wenig. Aber welche Seite der Gleichung wiegt schwerer? Ist wirklich unsere Bewegungsarmut hauptverantwortlich dafür, dass wir immer dicker werden – oder liegt es doch vor allem an unserer Ernährung? Genau das hat ein internationales Forscherteam kürzlich untersucht.

Kalorienverbrauch im Vergleich: Vom Jäger zum Büromensch

Eine im Juli 2025 in PNAS veröffentlichte Studie brachte spannende Erkenntnisse. Wissenschaftler*innen um Herman Pontzer von der Duke University analysierten Daten von 4.213 Erwachsenen aus 34 Populationen rund um den Globus. Darunter waren Menschen aus allen erdenklichen Lebensweisen – von traditionellen Jägern und Sammlern in Tansania über Bauern und Viehhirten in Südamerika und Afrika bis hin zu Büroangestellten in den USA und Europa. Diese Diversität war wichtig, um den täglichen Energieverbrauch (Kalorienverbrauch pro Tag) in völlig unterschiedlichen Umfeldern vergleichen zu können. Gemessen wurde der Kalorienumsatz mit der aufwändigen Doubly Labeled Water-Methode, bei der die Probanden markiertes Wasser trinken und über Urinproben ihr exakter Kalorienverbrauch ermittelt wird – der Goldstandard der Stoffwechselforschung. Gleichzeitig erfasste man den Körperfettanteil sowie den Body-Mass-Index (BMI) der Teilnehmer, um auch den Zusammenhang mit Übergewicht zu untersuchen.

Die erste wichtige Erkenntnis: Menschen in wohlhabenden, industrialisierten Ländern verbrauchen am Tag absolut gesehen sogar mehr Kalorien als Menschen in traditionellen Jäger- oder Bauernkulturen. Wie passt das mit dem Bild vom „bewegungsfaulen dicken Westerner“ zusammen? Der höhere Verbrauch liegt schlicht daran, dass Menschen in entwickelten Ländern im Durchschnitt einen größeren Körper haben – sie sind oft größer und schwerer und verfügen über mehr fettfreie Masse (Muskulatur). Ein größerer Körper verbraucht selbst im Ruhezustand mehr Energie.

Vergleicht man den Energieumsatz pro Kilogramm Körpergewicht, ergibt sich ein anderes Bild: Korrigiert auf Körpergröße und -zusammensetzung verbrauchten die Personen in Industrieländern etwa 6–11% weniger Kalorien pro Tag als jene in den ärmsten, traditionell lebenden Gruppen. Ja, es gibt einen Unterschied – aber er ist relativ klein. Vor allem aber stellte sich heraus, dass der Anteil des Kalorienverbrauchs, der auf körperliche Aktivität zurückgeht, nicht signifikant niedriger war als in den modernen Lebensstilen. Mit anderen Worten: Die Leute bewegten sich zwar unterschiedlich viel, aber der Körper kompensierte das erstaunlich gut. Der Hadza-Stamm in Tansania zum Beispiel, ein Volk von ausdauernd wandernden Jägern und Sammlern, hat einen deutlich höheren Aktivitätslevel als ein westlicher Büroangestellter – dennoch war ihr totaler Tagesenergieumsatz nahezu gleich, sobald man Unterschiede in Größe und Gewicht herausrechnet.

Dieses verblüffende Ergebnis bestätigt, was sich in kleineren Studien bereits andeutete: Der menschliche Körper scheint ein gewisses „Kalorien-Budget“ einzuhalten. Wenn du sehr aktiv bist und viele Kalorien durch Bewegung verbrennst, spart dein Körper an anderer Stelle Energie ein – etwa indem er deine Ruheenergie (Grundumsatz) leicht absenkt oder du unbewusst weniger herumzappelst und mehr sitzt. Die Summe der pro Tag verbrannten Kalorien bleibt in einem erstaunlich engen Korridor. So verbraucht dein Kollege, der den ganzen Tag sitzt, am Ende vielleicht fast genauso viele Kalorien wie ein körperlich arbeitender Mensch – einfach weil der Büroarbeiter einen größeren Anteil des Tagesbedarfs über den Grundumsatz seines größeren Körpers deckt. Für die Entstehung von Übergewicht bedeutet das: Weniger Bewegung an sich führte in den untersuchten Gruppen nicht automatisch zu einem dramatisch niedrigeren Kalorienverbrauch.

Kalorienaufnahme – der eigentliche Übeltäter

Warum sind dann trotzdem die Menschen in den reicheren Ländern viel häufiger übergewichtig? Die Studie liefert eine klare Antwort: Es liegt vor allem an der Energieaufnahme, sprich an unserer Ernährung. Der leichte Rückgang im täglichen Energieverbrauch erklärte nur etwa 10% der Unterschiede im Körperfettanteil zwischen traditionellen und modernen Lebensweisen. Der allergrößte Rest – rund 90% der „Extra-Pfunde“ in entwickelten Gesellschaften – ist demnach auf mehr gegessene Kalorien zurückzuführen. Anders gesagt: Nicht vorrangig Bewegungsmangel macht uns dick, sondern in erster Linie die Menge (und Art) des Essens.

Tatsächlich waren die Studienteilnehmer in den Industrieländern im Durchschnitt schwerer und hatten mehr Körperfett, obwohl ihr Kalorienverbrauch ähnlich war. Das bedeutet: Sie müssen auch entsprechend mehr gegessen haben, um dieses Gewicht zu erreichen und zu halten. Während der Messperioden blieben die meisten Personen übrigens gewichtsstabil (es nahm also niemand spontan ab oder zu, man aß genau so viel, wie man verbrauchte). Die US-Amerikaner oder Europäer konsumierten demnach täglich deutlich mehr Kalorien als z.B. die Hadza oder die bolivianischen Tsimane, um ihren (leicht höheren) Bedarf zu decken – und darüber hinaus offenbar noch ein Zuviel, das sich als Fett anlagerte.

Doch es geht nicht nur um die schiere Kalorienmenge, sondern auch um die Qualität der Nahrung. Mit der wirtschaftlichen Entwicklung haben sich unsere Essgewohnheiten drastisch verändert. Ultraverarbeitete Lebensmittel – auf Englisch ultra-processed foods – dominieren in vielen industrialisierten Ländern den Speiseplan. Gemeint sind stark industriell verarbeitete Produkte mit langen Zutatenlisten, Zucker, Aroma- und E-Stoffen z.B. Softdrinks, Snacks wie Chips und Schokoriegel, Fast Food, Fertiggerichte, süßes Gebäck und ähnliches. Diese Lebensmittel sind oft sehr kaloriendicht, enthalten viel Fett, Zucker oder Salz, und schmecken verdammt gut – so gut, dass man leicht mehr davon isst, als man eigentlich bräuchte. Gleichzeitig machen sie oft weniger satt, unter anderem weil Ballaststoffe und natürliche Strukturen fehlen. Das Ergebnis: Man isst mehr Kalorien, oft ohne es zu merken.

Die globale Studie fand Hinweise, dass gerade diese hochverarbeiteten Nahrungsmittel eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung von Fettleibigkeit spielen. Für 25 der untersuchten Populationen lagen detaillierte Ernährungsdaten vor. Je höher dort der Anteil der Kalorien aus ultraverarbeiteten Lebensmitteln war, desto höher war auch der durchschnittliche Körperfettanteil – und zwar selbst wenn man Faktoren wie Alter, Geschlecht und Gesamtenergieverbrauch statistisch berücksichtigte. Ein Beispiel: In den USA oder Europa, wo Softdrinks, Chips & Co. einen großen Teil der Kalorien liefern, ist auch der durchschnittliche Körperfettanteil der Bevölkerung höher. In ländlichen Gemeinschaften, die hauptsächlich unverarbeitete Nahrung essen, bleibt die Bevölkerung deutlich schlanker. Interessanterweise zeigte in der Studie der pro Kopf-Fleischkonsum keinen vergleichbaren Zusammenhang mit dem Fettanteil, wenn man die ultraverarbeiteten Lebensmittel herausrechnete – es scheint also weniger das Steak zu sein, das uns dick macht, sondern eher die Cola und der Donut.

Dass ultraverarbeitete Kost das Abnehmen torpediert, wurde auch in einer aufsehenerregenden Interventionsstudie in den USA gezeigt. Der Ernährungswissenschaftler Kevin Hall ließ freiwillige Probanden zwei Wochen lang ausschließlich von hochverarbeiteten Fertigprodukten leben und zwei Wochen lang von unverarbeiteten frischen Lebensmitteln – jeweils so viel sie wollten. Alle Mahlzeiten in beiden Phasen hatten eigentlich den gleichen Nährstoff- und Kaloriengehalt, sie unterschieden sich nur in der Verarbeitung. Das verblüffende Resultat: Im Ultra-Processed-Food-Zyklus aßen die Teilnehmer rund 500 Kalorien mehr pro Tag und nahmen in den zwei Wochen im Schnitt 0,9 kg an Gewicht zu, während sie im Zeitraum der unverarbeiteten Ernährung ungefähr genauso viel an Gewicht verloren. Und die Probanden bemerkten nicht einmal, dass sie mehr aßen – die verarbeiteten Lebensmittel waren so leicht zu konsumieren (wenig Kauen, hohe Energiedichte, „Suchtfaktor“), dass das Sättigungsgefühl zu spät einsetzte. Diese streng kontrollierte Untersuchung (Hall et al., 2019) lieferte erstmals den kausalen Beweis: Ultraverarbeitete Lebensmittel verleiten uns dazu, mehr zu essen, was zu Gewichtszunahme führt.

Unterm Strich untermauert all das eine simple Wahrheit: Du kannst eine schlechte Ernährung nicht einfach weglaufen. Wenn die Energiebilanz nicht stimmt, hilft das tollste Fitnessprogramm nichts gegen überflüssige Pfunde.

Warum Bewegung trotzdem wichtig bleibt

Heißt das nun, du kannst getrost aufhören, dich zu bewegen, solange du nur deine Kalorienzufuhr im Griff hast? Ganz so einfach ist es natürlich nicht. Sport und Alltagsbewegung bleiben enorm wichtig – nur sollte man eben nicht allein darauf setzen, wenn das Ziel Gewichtsreduktion ist. Körperliche Aktivität bringt viele Vorteile mit sich, unabhängig vom Gewicht. Regelmäßige Bewegung stärkt das Herz-Kreislauf-System, senkt Blutdruck und Blutzucker, verbessert die Blutfette und hebt die Stimmung. Aktive Menschen schlafen oft besser und leiden seltener an Depressionen. Zudem lebt, statistisch betrachtet, jemand der sich viel bewegt, länger und gesünder als jemand, der überwiegend sitzt.

Auch beim Abnehmen spielt Bewegung eine unterstützende Rolle: Zwar nimmt man durch reines Training meistens nur wenig an Gewicht ab, weil der Körper wie beschrieben gegensteuert. Aber Sport hilft dabei, Muskelmasse zu erhalten, wenn man durch Kaloriendefizit Gewicht verliert – man verliert also mit Bewegung mehr Fett und weniger fettfreie Masse (Muskeln, Knochen) im Vergleich zu einer Diät ohne Training. Außerdem kann regelmäßige Aktivität helfen, nach einer Abnahme das neue Gewicht zu halten. Wichtig ist jedoch: Viele überschätzen, wie viele Kalorien sie durch Sport verbrauchen, und gönnen sich dann extra Snacks – das kann die mühsam erarbeitete Kalorienbilanz sofort wieder zunichtemachen. Eine Stunde Joggen verbrennt vielleicht 500 Kalorien – das entspricht grob einer großen Portion Pommes mit Mayo. Du siehst das Problem.

Die aktuelle Studienlage spricht sich deshalb weder gegen Bewegung noch gegen gutes Essen aus – im Gegenteil, für die beste Gesundheit braucht es beides. Wie die Forscher betonen, gehören Ernährung und Bewegung zusammen, um Übergewicht vorzubeugen und zu bekämpfen. Oder anders gesagt: Ernährung und körperliche Aktivität sind essenziell und komplementär, nicht austauschbar. Wenn du also dein Wohlfühlgewicht erreichen oder halten möchtest, führt kein Weg an einer bewussten Ernährung vorbei. Aber ein aktiver Lebensstil ist das perfekte Fundament, auf dem deine Gesundheit ruht. Stell dir vor, Ernährung ist der Schlüssel zu deinem Gewicht, und Bewegung ist der Schlüssel zu deiner Fitness – idealerweise nutzt du beide, um dich rundum wohlzufühlen.

Fazit: Bewegung allein macht dich nicht automatisch schlank. Die Kalorien, die du zu dir nimmst, spielen die weitaus größere Rolle für dein Gewicht. Unsere modernen, hochverarbeiteten Nahrungsmittel machen es uns leicht, mehr Energie zu konsumieren als wir verbrauchen. Daher lautet die wichtigste Strategie gegen unerwünschte Pfunde: Achte auf deine Ernährung. Fülle deinen Teller mit möglichst unverarbeiteten, nährstoffreichen Lebensmitteln, die satt machen, statt mit „leeren“ Kalorien. Und kombiniere das mit regelmäßiger Bewegung, um fit und gesund zu bleiben. Dann hast du beide Stellschrauben optimal genutzt – und dein Körper wird es dir danken.

Energiegeladene Grüße,

Der Optimizer

Richard Staudner 

Wenn dich Themen wie Biohacking, Longevity, Gesundheit und Performance faszinieren, dann ist mein Podcast „Der Optimizer“ das Richtige für dich. Dort findest du regelmäßig neue Folgen mit fundiertem Wissen und praktischen Tipps für deinen Alltag.

Du willst eine Ebene tiefer gehen und direkt mit mir an deiner Gesundheit und Performance arbeiten? Dann schau dir den Performance Club an – mein Coaching-Programm für Menschen, die wirklich etwas verändern wollen.

 Hier geht’s zum Performance Club: https://richardstaudner.at/performance-club/

Stress ist aktuell ein Thema für dich? Dann wird dir mein Buch „Drück mal Pause“ helfen, einen neuen Zugang zu mehr Ruhe, Klarheit und Gesundheit im Alltag zu finden.Hier findest du mein Buch auf Amazon: https://lmy.de/ZZvWs

Lust auf mehr? Schau doch mal hier rein:

Bewegung ist ein Fundament unserer Gesundheit  – Warum regelmäßige Bewegung dein Immunsystem stärkt, Stress abbaut und die Basis für echte Leistungsfähigkeit bildet.

Die Mediterrane Ernährung: Was Menschen aus der Mittelmeerregion richtig machen – Entdecke, wie dieser genussvolle Ernährungsstil Herz, Gehirn und Zellen langfristig schützt.

Ernährung heute: Die stille Ursache für viele Krankheiten – Erfahre, wie moderne Essgewohnheiten Entzündungen fördern – und wie du mit einfachen Strategien gegensteuerst.

Quellen :

  • GBD 2015 Obesity Collaborators. (2017). Health effects of overweight and obesity in 195 countries over 25 years. New England Journal of Medicine, 377(1), 13-27. https://doi.org/10.1056/NEJMoa1614362
  • Pontzer, H., Raichlen, D. A., Wood, B. M., Mabulla, A. Z. P., Racette, S. B., & Marlowe, F. W. (2012). Hunter-gatherer energetics and human obesity. PLoS ONE, 7(7), e40503. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0040503
  • McGrosky, A., Luke, A., Arab, L., & The IAEA DLW Database Consortium. (2025). Energy expenditure and obesity across the economic spectrum. Proceedings of the National Academy of Sciences, 122(29), e2420902122. https://doi.org/10.1073/pnas.2420902122
  • Hall, K. D., Ayuketah, A., Brychta, R., Cai, H., Cassimatis, T., Chen, K. Y., … Zhou, M. (2019). Ultra-processed diets cause excess calorie intake and weight gain: An inpatient randomized controlled trial of ad libitum food intake. Cell Metabolism, 30(1), 67-77.e3. https://doi.org/10.1016/j.cmet.2019.05.008

Teilen:

Facebook
Twitter
Pinterest
LinkedIn