Je mehr desto besser! Oder ist es weniger mehr?
Den Spruch kennen wir alle, doch anscheinend haben wir diesen Ansatz wohl nicht ganz so verinnerlicht wie wir denken. Eine kürzlich veröffentlichte Studie zeigt, dass wir Probleme lieber lösen, indem wir etwas hinzufügen, anstatt etwas wegzunehmen. Was sagt das über uns aus? Wie beeinflusst das unsere Problemlösungsstrategie und was können wir aus diesen Studienergebnissen für uns mitnehmen?
Die Studie:
Das amerikanische Forschungsteam rund um Gabrielle S. Adams veröffentlichte im April 2021 die Studie “People systematically overlook subtractive changes” (1). Hinter diesem vagen Titel stecken 8 Versuche mit insgesamt über 1500 TeilnehmerInnen und Follow-Up Studien, in denen das Team untersuchte, wie Menschen in verschiedenen Settings Probleme lösen. Die Probleme oder Settings waren so aufgestellt, dass eine Verbesserung oder Lösung entweder durch hinzufügen oder wegnehmen von Komponenten erreicht werden kann. Wie kann man sich das vorstellen? Zum Beispiel ging es darum, ein Muster symmetrisch zu gestalten, das entweder durch Entfernen der asymmetrischen Kästchen auf der einen Seite oder hinzufügen der gespiegelten asymmetrischen Kästchen auf der anderen Seite möglich war. Durch solche simplen Aufgaben mit unterschiedlichen Rahmenbedingungen zeichnen sich deutliche Handlungsvorlieben ab:
Allgemein tendieren wir dazu, Probleme additiv zu lösen, das bedeutet, wir geben etwas hinzu, um es besser zu machen. Das ist unabhängig davon, ob die subtraktive Lösung (etwas wegnehmen) besser oder gleichwertig ist. Wenn aber spezifisch erwähnt wird, dass es möglich ist, etwas hinzuzufügen oder wegzunehmen, dann wählen wir signifikant öfter eine subtraktive Lösung, also etwas wegzunehmen. Zum Beispiel wählen ohne Hinweis 41% der Teilnehmer die (bessere) subtraktive Taktik, mit Hinweis wählen hingegen 61% die (bessere) subtraktive Taktik.
Bei einem anderen Versuch ging es nur darum, etwas zu verbessern (Kreative Projekt- Umgestaltung), es gab keine richtige Lösung. Die TeilnehmerInnen sollten bis zu 24 möglichen Verbesserungen auflisten. Ohne Hinweis (auch Reduktion sei möglich) erwähnten 28% mindestens 1 Möglichkeit der Subtraktion, mit dem Hinweis war dies bei 43% der Fall.
Das alles zeigt, dass wir verbessern und optimieren automatisch mit mehr und hinzufügen assoziieren. Sind diese Verknüpfungen von Kindheit an so geprägt? Auch wiederholtes Betrachten einer Problemstellung erhöht die Chance signifikant die (bessere) subtraktive Taktik zu wählen, als die (schlechtere) additive: Weniger als die Hälfte (49%) wählt bei einmaliger Betrachtung die subtraktive Problemlösung. Wenn davor aber 3 ähnliche Aufgaben gelöst wurden, werden die TeilnehmerInnen aufmerksam auf die Nachteile der additiven Herangehensweise und am Ende wählen 63% ein subtraktives Verfahren.
Zuletzt testete das Team, welche Entscheidungen unter kognitiver Überforderung getroffen werden und fanden eindeutig, dass bei geteilter Aufmerksamkeit seltener die (bessere) subtraktive Lösung gewählt wird. Aber: Subtraktiv, Additiv, das sind Laborparameter, so löse ich doch im Alltag keine Probleme? Oder doch?
Wie halten wir es denn oft mit unserer Gesundheit? Nehmen wir nicht lieber Medikamente oder Supplemente ein, als vielleicht etwas Ungesundes aus unserem Alltag, oder aus unserer Ernährung zu entfernen? Zum Beispiel Stress zu reduzieren?
Wenn es uns nicht gut geht, tendieren wir dann nicht oft dazu, uns etwas zu kaufen? Also uns zu belohnen oder besser gesagt, das ungute Gefühl mit etwas Materiellen auszugleichen?
Wenn unsere Wohnung übergeht mit Krimskrams, denken wir nicht meist daran, dass wir mehr Stauraum brauchen, anstatt darüber, ob wir vielleicht unseren Besitz reduzieren können?
Oder unser Umgang mit Arbeit und Stress? Wir versuchen durch schlaue Todo-Listen, Kalender-Apps etc. besser zu organisieren, stellen Hilfskräfte an und versuchen die Verkaufszahlen immer weiter zu steigern. Warum nicht einfach mal kräftig Aufgaben und Termine streichen und eher qualitativ statt quantitativ arbeiten. Nicht jeden timeslot mit einem Termin füllen, sondern einfach mal “die Seele baumeln lassen”.
Und wie lösen wir die Klimakrise um? Wir hoffen auf Innovationen, nachhaltigere Autos, Solarflugzeuge, neue nachhaltigere Energiequellen, Laborfleisch und und und. Aber wie wäre es mit einem subtraktiven Lösungsansatz? Weniger Konsum zum Beispiel.
Naja, es scheint genug Orte zu geben, wo wir gerne zu additiven Lösungen tendieren, statt subtraktive Ansätze zu erwägen. Schon klar, die additive Lösung muss nicht unbedingt die bessere sein. Aber wie wollen wir eine gut fundierte Entscheidung treffen, wenn wir nicht einmal alle Optionen erkennen und die subtraktiven Möglichkeiten übersehen?
Was können wir aus der Studie lernen?
Die Ergebnisse zeigen deutlich, wann wir sehr wohl eine subtraktive Lösung in Erwägung ziehen können: Wenn uns gesagt wird, dass es eine geben könnte, man uns daran erinnert, dass es nicht nur mehr werden kann. Es fällt uns auch leichter, die Lösung eines Problems zu erkennen, wenn wir kognitiv nicht überfordert sind – Stichwort Multitasking. Und zuletzt hilft es uns, wenn wir ein Problem öfter betrachten und länger darüber nachdenken.
Also sich selbst die Optionen aufzählen, nur an einem Thema zur selben Zeit arbeiten, sich Zeit bei der Problemlösung nehmen und öfter in Ruhe reflektieren. So kommen wir sicherlich öfter zu erfolgreichen Entscheidungen.
Bringen wir es auf den Punkt:
1. Lass dir Zeit für deine Entscheidung, so erkennst du vielleicht alternative Lösungen
2. Erinnere dich und deine Mitmenschen daran, dass es immer mehrere Optionen gibt, ein Problem zu lösen.
3. Versuche, Lösungen nicht während kognitiver Überforderung zu finden und gib dich nicht dem Märchen vom Multitasking hin. Fokussiere dich auf eine Aufgabe.
Quellen
1. Adams GS, Converse BA, Hales AH, Klotz LE. People systematically overlook subtractive changes. Nature. 8. April 2021;592(7853):258–61.